"Interdisziplinarität, Innovation und Transfer"


- am Beispiel der berufsbezogenen wissenschaftlichen Weiterbildung "Psychologische Gesundheitsförderung für Krankenpflegepersonal" der Universität Oldenburg

 

von Ulrich Bernath

in: Graeßner, G. /Brödel, R (Hrsg.), Wissenschaftliche Weiterbildung im Netz der Wissenschaften. - Interdisziplinarität, Innovation, Transfer - Beispiele aus Umweltschutz und Gesundheit. Dokumentation der 26. Jahrestagung des Arbeitskreises Universitäre Erwachsenenbildung (AUE - Hochschule und Weiterbildung) an der Bildungswissenschaftlichen Hochschule - Universität Flensburg 25./26. September 1997. AUE-Beiträge 36. AUE e.V. - Hochschule und Weiterbildung, Hamburg 1999, S. 90 - 93, siehe auch: http://www.aww.uni-hamburg.de/docs/beitraege36.pdf


 

Die berufsbezogene wissenschaftliche Weiterbildung "Psychologische Gesundheitsförderung für Krankenpflegepersonal" findet seit 1986 als ein Projekt des Fernstudienzentrums und der Arbeitseinheit "Psychologie im Gesundheitswesen" des Fachbereichs Psychologie der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg statt. Seit 1992 wird die Weiterbildung von einem Netzwerk der Universitäten in Berlin (FU/HU), Bern, Frankfurt am Main, Hamburg, Hildesheim, Karlsruhe, Koblenz-Landau und Oldenburg durchgeführt. Die Zusammenarbeit zwischen den Universitäten führt zu einem halbjährigen Weiterbildungsprogramm, bei dem das selbständige Lernen auf der Grundlage von Lehrtexten der Universität Oldenburg mit kompakten Seminaren an Wochenenden unter dezentraler Verantwortung der jeweiligen Hochschulen kombiniert wird. Die Weiterbildung hat einen nominalen Selbststudienanteil im Umfang von ca. 90 - 120 Lernstunden und einen faktischen Seminaranteil im Umfang von 80 bis 100 Unterrichtsstunden, was zusammengenommen einem Lehrangebot von etwa sechs Semesterwochenstunden entspricht.

An den insgesamt bisher durchgeführten ca. 80 Weiterbildungskursen des Netzwerkes haben bereits über 1.200 Schwestern und Pfleger teilgenommen. Die Durchführung der Weiterbildung wird aus Teilnehmerentgelten finanziert. Darin sind eingeschlossen die Kosten der laufenden Überarbeitung der Lehrtexte für die Selbstlernphasen sowie die Honorare für die Dozentinnen und Dozenten der Seminarveranstaltungen. Die Einnahmen aus Teilnehmerentgelten haben sich in diesem Zeitraum bereits zu einem Gesamtbetrag in Höhe von über 1,4 Mio. DM summiert.

Im AUE Informationsdienst 1/1997 wurde das Netzwerk "Psychologische Gesundheitsförderung für Krankenpflegepersonal" mit seinem Weiterbildungsprogramm bereits ausführlich dargestellt (BERNATH 1997).

Die Besonderheiten dieser interuniversitären Kooperation sind:

Im Workshop "Gesundheit" der AUE-Jahrestagung 1997 wurde die Weiterbildungs-maßnahme "Psychologische Gesundheitsförderung für Krankenpflegepersonal" als Beispiel vorgestellt und gemäß der Zielstellung der Jahrestagung unter den Gesichtspunkten der "Interdisziplinarität, Innovation und Transfer" beleuchtet.

Interdisziplinarität

Aus einer ursprünglich "disziplinär" ausgerichteten Entwicklung von Lehrmodulen, die sich eng an den "Schulen" der Humanistischen Psychologie orientierten, sind psychologisch, pflege- und gesundheitswissenschaftlich fundierte, praxisorientierte und handlungsanleitende Lehrtexte geworden, die sich durch ihre besondere didaktische Bearbeitung für das selbständige Lernen eignen. Dieser Prozeß ergab sich aus anfänglich (1985) engagierten und später (1989) immer aussichtsloser werdenden Bemühungen um die Errichtung eines universitären Studiengangs in Pflegewissenschaft und der daraus resultierenden verstärkten Hinwendung zur beruflichen Weiterbildung von Schwestern und Pfleger. (FICHTEN 1989 und 1994)

Aus zunächst sechs Lehrtexten, die ein einsemestriges Kontaktstudium mit sechs Konpaktseminaren konstituierten, sind inzwischen 10 + 6 Module geworden, die die Basis verschiedener Programme berufsbezogener wissenschaftlicher Weiterbildung in der Form des kombinierten Fern- und Präsenzlernens bilden. Sechs Module sind aus den bereits vorhandenen und erprobten 10 im Jahre 1995 auf das Berufsfeld der Pflegekräfte in der Dialyse hin modifiziert und spezifiziert worden.

Das Fundament der Lehrtexte sind wissenschaftliche Disziplinen und ihr berufsfeldrelevanter Kontext, der teilweise auch durch Interdisziplinarität gebildet wird. Im Laufe der Weiterentwicklung der Lehrtexte unter Berücksichtigung von Feebacks der Teilnehmenden und auch von Dozentinnen und Dozenten aus verschiedenen Hochschulen haben sich die Lehrtexte aus ihrem engen Bezug zur wissenschaftlichen Disziplin herausgelöst und verstärkt Praxisbezogenheit und Handlungsanleitung aufgenommen. Die begleitende (formative) Evaluation der Lehrtexte richtet sich nach den Kriterien "Informationsgehalt, Verständlichkeit, Anregungspotential und Praxisbezug", an der sich jede teilnehmende Pflegekräfte beteiligt. Neben einem Fragebogen, der zu jeder Seminarveranstaltung und dem dazugehörigen Lehrtext ausgegeben wird, liegen etwa 600 Lerntagebücher der Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Quelle von Rückmeldungen vor. Auch die ca. 30 mitwirkenden Dozentinnen und Dozenten aus acht Universitäten bringen sich mit ihrer Kritik in den Überarbeitungsprozeß der Lehrtexte ein. Sie "adaptieren" die Lehrtexte und betrachten sie als die Grundlage von Selbstlernprozessen, die den Seminarveranstaltungen vorausgehen und danach wieder aufgenommen werden, sowie als ein Ausgangsmaterial für die Seminarveranstaltung.

Die Lehrtexte bewähren sich nachweislich für die Weiterbildung der Pflegekräfte (FICHTEN 1997). Ebenso gelingt der Adaptationsprozeß durch die Dozenten des Netzwerkes (BERNATH, U./FICHTEN, W. 1997). Dagegen ist eine Übernahme der Module in ein disziplinär strukturiertes pflege- oder gesundheitswissenschaftliches Curriculum an Fachhochschulen und an an Universitäten trotz ernsthafter Versuche bisher nicht gelungen.

Innovation

In der pflegewissenschaftlichen Aus- und Weiterbildung sind Formen des Fernstudiums, insbesondere im Ausland, nicht ungewöhnlich. In der Bundesrepublik Deutschland war die Entwicklung von Lehrtexten für das Selbststudium von Pflegekräften Ende der achtziger Jahre etwas Neues. Deren fortlaufende Überarbeitung, anfangs durch systematisch erfaßte Feedbacks der Teilnehmenden und später auch noch durch die Einbeziehung der Rückmeldungen von kooperierenden Dozentinnen und Dozenten anderer Universitäten, setzte ganz neue Maßstäbe. Dadurch wurde die interuniversitäre Kooperation auf der Basis zentral vorgegebener Lehrtexte wesentlich begünstigt und überhaupt erst realisierbar.

Die nicht-hierarchische Netzwerkorganisation, die laufende Erneuerung der Lehrtexte, die Einheitlichkeit und Flexibilität der dezentral durchgeführten Weiterbildungsprogramme und ihre auf Selbsfinanzierung beruhende Dauerhaftigkeit stellen bis heute ein nahezu einmaliges Bündel von Neuerungen im Bereich der universitären Weiterbildung dar.

Transfer

Der Übergang von dem lokalen Weiterbildungsangebot in Oldenburg zu einem bundesweiten und später auch internationalen Weiterbildungsangebot gelang auf der Basis von mehrfach erprobten Lehrtexten, die sich für einen "Adaptationsprozeß" durch kooperierende Dozententeams anderer Universitäten eigneten. Hierauf konnte das Netzwerk der inzwischen neun beteiligten Universitäten errichtet werden. Damit konnte nicht nur dem bundesweiten Interesse am Weiterbildungsangebot der Universität Oldenburg adäquat begegnet werden. Vielmehr schuf die "Vervielfachung" des Angebotes die Voraussetzungen dafür, daß die laufende Überarbeitung der Lehrtexte finanzierbar wurde und damit die inhaltliche Basis des Netzwerkes erhalten und sogar dynamisch weiterentwickelt werden konnte.

Zur wirtschaftlichen Seite des Netzwerkes sei an dieser Stelle hinzugefügt, daß die Einnahmen, die der Lehrtextweiterentwicklung und den Netzwerkkonferenzen vorbehalten sind, eine Höhe von ca. DM 120.000 erreicht haben. Die Universität Oldenburg hat dabei mit ihrem Anteil an der Gesamtheit aller bisher durchgeführten Weiterbildungsprogramme des Netzwerkes nur etwa DM 20.000 selbst erwirtschaftet.

Im deutschen Kontext des Netzwerkes kann das Transfer-Kriterium an drei Entwicklungen diskutiert werden: 1. Unter quantitativen Aspekten gelang die Öffnung und Verbreiterung des Angebotes durch die Übernahme des Weiterbildungsprogramms unter der Mitverantworrtung kooperierender Üniversitäten. 2. Dahinter verbirgt sich allerdings der höchst interessante qualitative, zweite Aspekt des bereits angesprochenen Adaptationsprozesses, ohne dessen Gelingen die quantitativen Dimensionen nie erreicht worden wären. 3. Ein Transfer ganz anderer Art ist erfolgt, als die Lehrtexte unter Berücksichtigung der besonderen Bedingungen des Berufsfeldes der Pflegekräfte in der Dialyse systematisch überarbeitet worden sind. Damit entstand neben den Lehrtexten für das Kranken(haus)pflegepersonal auch eine spezielle Version für die Pflegekräfte in der Dialyse. Das Netzwerk bildete auf der Grundlage dieser Lehrtexte bisher mehr als 800 Pflegekräfte aus Dialysezentren weiter.

Durch die Beteiligung des Schweizer Partners aus der Universität Bern hat sich dort das Weiterbildungsprogramm zu einem Hochschullehrgang entwickelt, der den Besonderheiten für wissenschaftliche Weiterbildung in der Schweiz entspricht. Hieraus ergeben sich Rückkoppelungseffekte, die sich inspirierend auf die inhaltliche Weiterentwicklung der Oldenburger Lehrtexte niedergeschlagen haben.

Von ganz neuen Entwicklungen wird dann die Rede sein können, wenn ein derzeit stattfindender Übertragungsprozeß ins Amerikanische in Verbindung mit dem Harbor Hospital und dem Loyola College in Baltimore, Maryland, abgeschlossen sein wird. Bei dieser Transformation ins Amerikanische wird die "Psychologische Gesundheitsförderung für das Krankenpflegepersonal" zu einem Weiterbildungsprogramm für alle im Gesundheitsbereich tätigen Berufsgruppen weiterentwickelt. Dadurch wird eine ursprüngliche Vision der Oldenburger Projektgruppe aus den achtziger Jahren über "Umwegen" Wirklichkeit, nämlich Pflegekräfte und Ärzte als gesundheitsfördenrndes Team anzusehen und daraufhin weiterzubilden. Der absehbare Rücktransfer aus dem Amerikanischen wird das Projekt nicht nur mit ganz neuen Impulsen versehen, sondern vielleicht sogar zum schon aus dem Auge verlorenen Ziel der berufsgruppenübergreifenden Weiterbildung im Gesundheitsbereich zürückführen. Dies wäre dann die vollendete "Innovation" in der Weiterbildung durch gelungene Transformationen der Lehrinhalte infolge transatlantischer "Transfers".

 


Referenzen:

FICHTEN, W. 1989, Entwicklung eines Konzepts für einen berufsbegleitenden Weiterbildungskurs für Krankenhauspflegepersonal; in: U. Bernath, W. Fichten, G. Lauth, U. Rohlfing, Psychologische Gesundheitsförderung als Weiterbildungsmodell für das Krankenhauspflegepersonal. Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg 1989 S. 14 - 58

FICHTEN, W. 1994, Psychologische Gesundheitsförderung, Eine berufsbegleitende Weiterbildung, in: PflegePädagogik 3/94, S. 32 - 34

FICHTEN, W. 1997, Psychologische Gesundheitsförderung für Pflegekräfte in der Dialyse. Projektbericht. Manuskript, Oldenburg 1997, 20 S. m. Anh.

BERNATH, U. 1997, Mit einer Fernstudienkomponente und einem Netzwerk auf neuen Wegen in der wissenschaftlichen Weiterbildung. Am Beispiel der "Psychologischen Gesundheitsförderung" für Krankenpflegepersonal im Netzwerk der Universitäten Berlin (FU), Bern, Frankfurt a.M., Hamburg, Hildesheim, Karlsruhe, Koblenz-Landau und Oldenburg. In: AUE-Informationsdienst Hochschule und Weiterbildung 1/97, S. 29 - 32

BERNATH, U./FICHTEN, W. 1997, Adaptation in Distance Education - With New Experiences from Networking Universities in Germany. Paper presented to the 18th ICDE World Conference, Pennsylvania State University, Juni 2 - 6, 1997, 8 pg.

Ausführliche Informationen zum Projekt "Psychologische Gesundheitsförderung" finden Sie hier.