Ulrich Bernath
in: H. Beelen, U. Bernath (Hrsg.), Integration von fremdsprachigen Fernstudien in das Präsenzstudium, Dokumentation des "Erprobungsmodells 'Europäisch studieren'" der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Wintersemester 1992/93, Oldenburg 1994, S. 26 - 33
(see also article in English language)
Das Oldenburger Erprobungsmodell "Europäisch studieren" hat die Integration von Fernstudien der niederländischen Open universiteit in das Präsenzstudium an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zum Ziel gehabt1. Dem Präsenzstudium sollte auf neuartige Weise eine "europäische Dimension" 2. verliehen werden.
Die Ergebnisse dieses Erprobungslaufs und der damit einhergegangenen Evaluation liegen nunmehr vor3..
An dem fremdsprachigen Fernstudienangebot nahmen unter den Erprobungsbedingungen 20 Oldenburger Studierende teil. Sie bewerten das Erprobungsmodell durchweg positiv. Sieben Studierende haben bereits freiwillig an dem Kursabschlußexamen der Open universiteit in Groningen teilgenommen; ihre Studienleistungen werden in einem unbürokratischen Verfahren des "course and credit transfer"4. durch das Fach Niederlandistik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg anerkannt.
Die Studierenden haben sich für die neuartige Lernform aufgeschlossen gezeigt, das Studienmaterial des Kurses (Oriëntatiecursus cultuurwetenschappen) wurde gelobt und motivierte die Studierenden in ihrem individualisierten Selbstlernprozeß, auf den sie sich ohne Vorbereitung eingelassen hatten5..
Eine Auslandsorientierung wurde über den Fernstudienkurs der Open universiteit und durch die punktuellen und kompakten studienbegleitenden Angebote durch das Studienzentrum der Open universiteit in Groningen gefördert. Die hier praktizierte Auslandsorientierung läßt sich in Verbindung bringen mit dem Mobilitätsziel der ERASMUS- und LINGUA-Programme der Europäischen Gemeinschaft, da hier
- landeskundliches und
- fremdsprachliches Studium mit den
- punktuellen Auslandsaufenthalten
eine nachweislich aufschließende, auslandsorientierende, kompetenz- und mobilitätsfördernde Wirkung erzielten6..
An dem Erprobungsmodell wirkten zusammen:
- das Fach Niederlandistik und
- die Zentrale Einrichtung Fernstudienzentrum der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg sowie
- die Open universiteit der Niederlande mit ihrem
- Studienzentrum in Groningen.
Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft hat das Erprobungsmodell finanziell gefördert. Damit wurden
- ein Zuschuß für die Kosten der Einschreibung der Oldenburger Studierenden an der Open universiteit gewährt,
- die Begleitforschung ermöglicht,
- die weitere Projektplanung in Richtung auf künftige Fördermittel der Europäischen Kommission unterstützt und
- die Veröffentlichung der Ergebnisse gewährleistet.
Die Projektverantwortlichen der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg hatten bereits im Jahre 1992 mit der Vorbereitung des Erprobungsmodells "Europäisch studieren" begonnen, zu einer Zeit, als sich auch schon die Fernuniversitäten in Europa auf den europäischen Binnenmarkt eingestellt hatten7..
In den bereits zitierten Memoranden der Europäischen Kommission wurde die große Bedeutung des Fernunterrichts und des Fernstudiums und für die europäische Hochschulbildung herausgestellt.
Die europäischen Förderprogramme ERASMUS und LINGUA sind dagegen auf die neue Komponente des Fernstudiums im Kontext der Europäisierung des Hochschulstudiums noch nicht aktualisiert und umformuliert 8..
Eine Diskussion über eine operationale, künftige Förderpraxis zur Integration des Fernstudiums in das Präsenzstudium mit europäischer Dimension war noch nicht auszumachen. Das Oldenburger Erprobungsmodell war offensichtlich einer der ersten Versuche, der die politischen Proklamationen und Erklärungen zugunsten des Fernstudiums in der europäischen Hochschulbildung in einem Integrationsmodell an einer deutschen Präsenzuniversität9. praktisch umsetzte, dafür ein Handlungskonzept zugrundelegte und mit Mitteln der Begleitforschung evaluierte.
In dieser Phase des status nascendi hatte der finanzielle Zuschuß des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft erfolgreiche Schritte erst möglich gemacht. Die Bezuschussung von Einschreib- und Kursgebühren der niederländischen Open universiteit und die finanzielle Förderung punktueller Auslandsaufenthalte zur fachlichen Studienbegleitung bzw. -unterstützung war und ist noch eine conditio sine qua non.
Die Oldenburger Studierenden hatten insgesamt einen zusätzlichen individuellen finanziellen Aufwand von ca. DM 650,- zu leisten, der durch die Einführung des Fernstudienelements und durch die Auslandsaufenthalte im nahegelegenen Groningen entstand. Davon haben die Studierenden ca. 25% selbst aufgebracht; die restlichen Kosten wurden durch die Zuschüsses des Bundesministeriums für Bildung Wissenschaft finanziert.
Die Erfahrungen dieses ersten Erprobungsfalls bestätigen die Praktikabilität des Handlungsansatzes, sie liefern die Basis für ein verallgemeinerbares Modell für die Europäisierung des Hochschulstudiums durch die Integration von Fernstudienkursen in das Präsenzstudium, sie können zur Hypothesenbildung und für weitergehendere Erprobungen genutzt werden.
Der Europäischen Kommission wird folglich auch durch die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und durch die niederländische Open universiteit die Durchführung von Pilotprojekten zur Erprobung derartiger Integrationsmodelle von Fernstudien in das Präsenzstudium nahegelegt10., um so an der Neuformulierung der ERASMUS- und LINGUA-Programme bzw. anderer Aktionen zur Europäisierung des Hochschulstudiums mitwirken zu können.
Die Projektbeteiligten können bereits jetzt schon zu zentralen Fragen derartiger Integrationsmodelle Stellung nehmen und zu der anstehenden Diskussion beitragen.
Eine solcher zentralen Fragen ist, ob die angebliche grenzenlose Mobilität des Fernstudienmaterials tatsächlich geeignet ist, an die Stelle der eher schwerfälligen räumlichen Mobilität der Studierenden zu treten.
In dem vorliegenden Erprobungsmodell ging es um die Integration von Fernstudienmaterial in das Präsenzstudium, somit kam auch untrennbar die Frage des Studienerfolgs hinzu, und es ging um die Europäisierung des Hochschulstudiums.
Folglich drängte sich ein Konzept auf, das dem Fernstudienmaterial und dem Hochschullehrenden jeweils eine neue Rolle zuwies und auch die im europäischen Fernstudienkontext üblichen Bestandteile der fachlichen Begleitung Fernstudierender mitbedachte 11..
Auf dem Hintergrund der Erfahrungen des Erprobungsmodells und angesichts obligatorischer oder zumindest empfohlener fachlicher Betreuung durch Tutoren/Mentoren 12. in den Studiengängen der offenen und Fernuniversitäten in Großbritannien, der Niederlande, Spaniens und Deutschlands schließt sich die bloße "Mobilisierung" von Fernstudienmaterial zum Zweck der Europäisierung der Hochschulbildung eher aus.
Fernstudienmaterial, eine angemessene Begleitung am Hochschulort und Auslandsaufenthalte für kompakte Seminarphasen, Exkursionen und ähnliches gehören für eine studienerfolgversprechende und damit auch förderungswürdige Strategie nach unserer Erfahrung und Überzeugung zusammen. Der Studienablaufsplan des Erprobungsmodells zeigt im einzelnen, wie die Komponenten zusammengefügt wurden13..
Eine weitere Frage, die sich in Verbindung mit Fernstudienmaterial insbesondere in Deutschland scharf stellt, ist die Frage nach der Übernahme der relativ hohen Kosten des europäischen Fernstudiums in Präsenzstudien.
Die Erfahrungen des Erprobungsmodells weisen auch hier in eine differenzierende, praktikable Richtung. Qualitativ hochwertiges Fernstudienmaterial, verantwortlich eingeführt und begleitet durch einen Hochschullehrenden und ergänzt um Betreuungsveranstaltungen durch eine ausländische offene bzw. Fernuniversität wird von Studierenden nicht gratis verlangt.
Das Oldenburger Erprobungsmodell hat ein Mischfinanzierungskonzept realisiert, bei dem studentische Finanzierungsbeiträge, staatliche Fördermittel und eigene Beiträge der partnerschaftlich beteiligten Hochschulen den Gesamtaufwand erbrachten.
Für den staatlichen Zuschuß gibt es in Deutschland bislang keine gesetzliche Regelung bzw. noch kein Förderprogramm, so daß es hier dringend der Regelung bedarf, um es nicht bei einem Erprobungsmodell zu belassen.
Aus der Sicht einer deutschen Universität bedarf es des Zusammenwirkens von Bund und Ländern, um Nachfolgemodellen bzw. der Verbreiterung einer entsprechenden Praxis eine Chance zu geben. Im europäischen Maßstab müssen die Regelungen der ERASMUS- und LINGUA-Programme überdacht und weiterentwickelt oder neue Förderprogramme erlassen werden.
Eine letzte Frage, auf die hier noch eingegangen werden soll, betrifft die Organisationsebene für derartige europäische Kooperationsmodelle zwischen offenen und Fernuniversitäten und Präsenzhochschulen.
Das Oldenburger Erprobungsmodell hat als Entwicklungsvorhaben eine wissenschaftliche und administrative Managementaufgabe 14. gelöst, die unter den günstigen Bedingungen in Oldenburg, einer Universität mit Fernstudienzentrum, mit Zugriff auf bereits bestehende Beziehungen zwischen der Universität Oldenburg und der niederländischen Open universiteit und mit den Zuschüssen des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft durchgeführt werden konnte.
Bei der Zusammenarbeit zwischen dem Fach Niederlandistik, dem Fernstudienzentrum der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und den niederländischen Partnern konnten bestehende Fernstudieninfrastrukturen und Erfahrungen vorausgegangener jahrelanger Zusammenarbeit eingebracht werden.
In einer Phase der Verallgemeinerung können deutsche Universitäten auf EuroStudyCentre im European Open University Network der European Association of Distance Teaching Universities 15. zugehen, die es in Deutschland an den Universitäten Bremen, Hamburg,Frankfurt/Oder, Hildesheim, Lüneburg, Saarbrücken und in Oldenburg bereits gibt. Darüberhinaus sind an einem Dutzend weiterer Universitäten Fernstudienzentren errichtet, die ebenfalls über Erfahrungen im Umgang mit Fernstudien verfügen.
Hier ist ein Potential vorhanden, welches allerdings ohne die notwendigen förderlichen Rahmenbedingungen ungenutzt bleiben wird.
Für eine nationale Strategie16. fehlt es nicht an passenden Vorgaben für ein geeignetes Förderprogramm.
Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Fernstudium in der Bundesrepublik Deutschland17. legen künftigen Fernstudienentwicklungen auch nahe, den "fortlaufenden Prozeß der europäischen Integration zu bedenken...(S.3), dabei wird auf den höheren Entwicklungsstand von Fernstudienangeboten anderer westeuropäischer Länder ausdrücklich verwiesen (S.53 ff.). Der Wissenschaftsrat spricht auch von der "Integration der Studenten von Präsenzhochschulen in das Fernstudium" und macht dafür zur Voraussetzung, "daß das Fernstudienmaterial ohne Beschränkung erworben werden kann, so daß Präsenzhochschulen ihr Lehrangebot ergänzen und gegebenfalls in Teilen als Fernstudium anbieten können" (S.60). Auch der Wissenschaftsrat hält Präsenzveranstaltungen zum Fernstudium für notwendig (S.65) und betont die wichtige Rolle von Studienzentren an den Hochschulen als notwendige organisatorische Basis für Fernstudien (S.97). Der Wissenschaftsrat gibt somit dem Oldenburger Erprobungsmodell "Europäisch studieren" in wesentlichen Punkten Rückhalt. Die zusammenfassenden Empfehlungen enthalten auch den Verweis auf "eine aktive Beteiligung deutscher Hochschulen mit Fernstudieninteressen an Programmen der EG zur Erforschung, Entwicklung und Durchführung des Fernstudiums" (S.102).
Auf europäischer Ebene sind bereits die wegweisenden Memoranden der Europäischen Kommission von 1991 und andere Dokumente zitiert worden.
Die Bundesrepublik Deutschland hat die hier zur Diskussion stehenden Ziele zur Europäisierung des Hochschulstudiums positiv bestätigt.
Die Memoranden werden mit der Ratifizierung der Maastrichter Verträge für die Politische Union Europas an Gewicht gewinnen, weil insbesondere durch den Artikel 126 u.a. explizit die Förderung des Fernunterrichts und des Fernstudiums in Europa proklamiert wird18..
Das Jahr 1993 soll nach dem Willen des Europäischen Rates und der Minister für das Bildungswesen konsequenterweise auch zu den ersten praktischen Schritten führen, um durch das Fernstudium dem Hochschulstudium eine weitere europäische Dimension zu verleihen19..
Mit dem "Erprobungsmodell 'Europäisch studieren'" stellen die niederländische Open universiteit und die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg bereits unter Beweis, daß eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Integration von Fernstudien in das Präsenzstudium dem Hochschulstudium eine europäische Dimension zu verleihen vermag.
Fußnoten:
Vgl. EADTU Secretariat, The EC defines its priorities for
education and training in the nineties, in: EADTU-News 9/1992, S. 7 - 8.
Der deutsche Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung
und Wissenschaft erwartet bei der Förderung des Fernunterrichts /
Fernstudium in der europäischen Dimension "Konsolidierung des
bisher Erreichten", "Verzahnung" und "Kooperation"
und sieht bei der Anerkennung von Studienleistungen und für das Mobilitätsziel
"in erster Linie die Hochschulen gefordert", vgl. Dr. Fritz Schaumann,
Die Konsequenzen der Beschlüsse von Maastricht für die Hochschul-
und Forschungspolitik in Europa, in: Das Hochschulwesen. Forum für
Hochschulforschung, -praxis und -politik, 41. Jhrg., Febr./März 1993,
S. 13. (zurück zum Text)
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